Was gibt es Neues?

Mike Bartels sagt adieu

Von Frank Glaubitz

Zu Beginn der vergangenen Woche ließ diese Nachricht nicht nur die hannoversche, sondern auch die deutsche Wasserballszene mehr als nur einmal kurz innehalten: Michael Bartels, der langjährig erfolgreiche Nachwuchstrainer und charismatische „Motor“ des nationalen Serienmeisters White Sharks Hannover, hat nach der Endrunde im deutschen Pokalwettbewerb der U12-Junioren seinen Rückzug als Trainer bekanntgegeben und will künftig nur noch Aufgaben abseits des Beckenrandes für seinen Verein übernehmen. Zahlreiche sportliche Titel aber auch spektakuläre Aktionen wie Straßenbahnen mit Wasserballmotiven pflastern die ungewöhnliche Vita dieses hochengagierten Machers, der die Sportart so dringend bedarf.

In einem langen Gespräch mit dem Autor erläuterte der 72-Jährige, den alle nur „Mike“ nennen, seine Gründe für diesen bemerkenswerten Schritt und schaute zurück auf Jahrzehnte im hannoverschen Wasserball. Michael Bartels wurde 1948 in Staßfurt in der damaligen DDR geboren. Wie so viele zog es seine Eltern zu Beginn der 50er-Jahre in den damals noch erreichbaren Westen, und so landete die Familie in Hannover. Sein Vater bekam jedoch bald darauf die Möglichkeit, in Südafrika zu arbeiten, und so erlebte der kleine Michael sein erstes Schuljahr in Durban zu einer Zeit, in der sich die Bürger der Bundesrepublik allmählich aufmachten, das Wirtschaftswunder zu realisieren.

Nach zwei Jahren kehrte die Familie zurück nach Hannover, die Mutter hatte das Heimweh gepackt. Im Alter von zwölf Jahren schloss sich Bartels den Wasserfreunden 98 an und wurde Leistungsschwimmer. In einer enorm starken Trainingsgruppe unter dem bekannten Übungsleiter Gottfried Mertens stieß er an seine Grenzen. Mit dabei waren beispielsweise Werner Lampe, der 1972 bei den Olympischen Spielen in München die Bronzemedaille über 200 Meter Freistil gewinnen sollte, und Hans Lampe, 1970 Europameister über 100 Meter Schmetterling. So ließ sich Bartels bereitwillig von den Wasserballern seines Vereins abwerben und wechselte die Disziplin. Schon mit 16 Jahren übernahm der Jugendliche erste Aufgaben als Trainer im Nachwuchsbereich und sollte diese parallel zu seiner Spielerlaufbahn weiter vorantreiben. Als Jugendspieler erreichte Bartels mit seinen Wasserfreunden die Endrunde zur deutschen Meisterschaft. Auch in die Männermannschaft stieß er vor, allerdings war der achtmalige deutsche Meister der Jahre 1921 bis 1948 mittlerweile zu einer Fahrstuhlmannschaft geworden, die häufig zwischen der 1. und 2. Liga pendelte.

Des Öfteren im Gespräch betont der heute 72-Jährige, wie sehr die Tugenden und Herausforderungen im Leistungssport denen gleichen, die in der Wirtschaft benötigt werden und wie sehr er sich in dieser Symbiose entwickeln konnte. Der gelernte Bankkaufmann machte in der Nord LB Karriere und brachte es bis zum Bankdirektor. Anfang der 1980er-Jahre musste er sich aufgrund der hohen Arbeitsbelastung allerdings aus dem Wasserballsport zurückziehen, nachdem er in den 70ern zwischenzeitlich noch das Traineramt in der Männermannschaft der 98er übernommen hatte.

 

Mit einer Bahn fing alles an …

Zur Jahrtausendwende kehrte Bartels zu den Wasserfreunden 98 zurück und baute unter dem Projektnamen „Mini Power Wasserball“ die brachliegende Jugendarbeit bei dem Traditionsverein wieder auf. Dieses Unterfangen startete unter widrigen Bedingungen: So wurde ihm und seinen Jugendlichen zunächst eine einzige Bahn im Vahrenwalder Bad für die Trainingseinheiten zugewiesen, und dieses einmal in der Woche nachmittags um 15 Uhr.

Bartels ließ sich jedoch nicht beirren und verweist auf eine Anekdote aus dieser Zeit: Bei einem seiner Streifzüge durch das in Sachen Wasserball kaum bekannte Hallenbad traf er auf eine Kindergeburtstagsgesellschaft. Mit dabei waren Kevin und Marvin Götz. Bartels sprach die Mutter der beiden Jungs an und bat die Kinder zum Training in seinen Verein. Es war der Beginn einer großartigen Erfolgsgeschichte. Kevin ist heute Torwart bei Waspo 98 und die Nummer zwei der deutschen Nationalmannschaft. Bruder Marvin führt mittlerweile die White Sharks Hannover als Kapitän ins Wasser. Unfassbar auch die damalige Ansprache Bartels zu den Kindern: „In drei Jahren werden wir zusammen deutscher Jugendmeister im Wasserball.“ Kevin Götz: „Klingt gut, aber was ist Wasserball?“ Das Ergebnis: Der nationale Titel in der D-Jugend wurde tatsächlich gewonnen, dieses aber schon 2005 nach nur zwei Jahren und in den beiden nachfolgenden Jahren ebenfalls.

Sein System erläutert Bartels wie folgt: „Ich habe das Vertrauen der Lehrer in einigen Grundschulen Hannovers. Während des Schwimmunterrichts setze ich mich an den Beckenrand und beobachte. Nach Rücksprache mit den Lehrern drücke ich dem Kind, dass ich als Talent erkenne, meine Visitenkarte in die Hand und bitte darum, die Eltern anrufen zu dürfen. Nicht immer kommt auf diese Weise ein Gespräch zustande, aber manchmal klappt es, und das Kind kommt zum Probetraining.“ Bartels betont, dass er als Trainer auch vielseitig gefordert war. So organisierte er die Schullaufbahn in Absprache mit den Eltern und holte auch den ein oder anderen Jungen regelmäßig vom Bahnhof ab, um ihn zum Training und wieder zurückzubringen. „Alles in allem arbeite ich täglich acht Stunden für diesen Sport“, so Bartels.

 

24 deutsche Titel und 52 Auswahlakteure

Im Jahre 2008 kam es zum Bruch mit den Wasserfreunden, die seinerzeit eine Startgemeinschaft mit Waspo Hannover-Linden bildeten. Er gründete mit einer Reihe von Mitstreitern die White Sharks Hannover als einen reinen Wasserballverein und setzte seine Arbeit fort. Sorgte dieses anfangs noch für Querelen in der lokalen Szene, bescherte die Entscheidung längerfristig jedoch einen zweiten leistungssportorientierten Verein in der Landeshauptstadt in einem Zeitalter, in dem Vereine häufig fusionieren. Bis heute erreichte er mit den von ihm trainierten Mannschaften 16 deutsche Meisterschaften und acht deutsche Pokalsiege im Juniorenbereich. Dazu kommen zahlreiche weitere Medaillen national sowie unzählbare Titel auf norddeutscher Ebene. Sagenhafte 52 Jugendnationalspieler gingen durch seine Hände, darunter zuletzt fast die halbe Mannschaft, die bei der U17-Europameisterschaft 2019 in Tiflis (Georgien) Rang acht belegt hat. Gestützt auf die gute Jugendarbeit, spielen die White Sharks seit 2012 inzwischen auch in der Bundesliga und haben auch schon mehrere Europapokalauftritte erlebt.

Als herausragende Talente seiner Amtszeit bezeichnet er Niclas Schipper, den er als 14-Jährigen Jugendlichen von Neptun Cuxhaven nach Hannover geholt hat, Jan Rotermund (beide haben mittlerweile in der A-Nationalmannschaft debütiert) sowie Jonas Reinhardt, der aufgrund anhaltender Rückenprobleme allerdings mit dem Leistungssport aufhören musste. Ein unvergesslicher Höhepunkt für alle Teilnehmer und Betreuer sei das Trainingscamp in Kalifornien im Jahr 2018 gewesen. Rund 20.000 Euro brachte Bartels bei befreundeten Gönnern zusammen, um den Eigenanteil für die 17 Spieler der Jahrgänge 2002 bis 2004 verkraftbar halten zu können. Auf dem Programm standen nicht nur zahlreiche Spiele gegen gute ortsansässige Mannschaften, sondern auch Ausflüge an die Küste, in Nationalparks oder nach Las Vegas, die allen Teilnehmern in Erinnerung bleiben werden.

Michael Bartels hinterlässt nicht nur in Hannover eine schwer zu füllende Lücke, dennoch schaut er für seinen Verein positiv in die Zukunft. „Wir haben viele gute, junge Trainer und Toptalente. Die gehen ihren Weg. Ihnen gehört die Zukunft“, betont er. Die Corona-Krise beunruhigt ihn hingegen sehr. „Wenn die Bäder noch lange geschlossen bleiben, geht dem Wasserball mindestens ein ganzer Jahrgang verloren. Schon jetzt ist die Situation in Deutschland kritisch, die Sportart steht auf der Kippe.“

Das Turnier um den DSV-Pokal der Altersklasse U12 in Cannstatt Anfang Oktober, bei dem seine Jungs die Bronzemedaille gewonnen konnten, soll nach seinem Willen der Ausklang einer großen Trainerlaufbahn gewesen sein. „Ich wünsche mir mehr Zeit für andere Dinge. Meine Faszination für Südafrika soll mehr in den Vordergrund rücken, und ich möchte es im Allgemeinen etwas ruhiger angehen lassen. Schließlich bin ich nicht mehr der Jüngste“, sagt er mit einem Augenzwinkern.

Ganz verschwinden aus der Wasserballszene will Bartels aber nicht. Er möchte weiterhin bei Bedarf für seine White Sharks aber auf Anfrage auch gern – wie bisher – für andere Klubs beratend tätig sein. „Es gibt viele Kontakte, auch auf meine Ankündigung aufzuhören haben sich viele Weggefährten gemeldet.“ Die vor zwei Jahren ins Leben gerufene Kooperation zwischen den White Sharks und Waspo 98, in dem 2012 die Wasserfreunde 98 aufgegangen sind, hält er für wichtig und zukunftsweisend. Trotz mancher Animositäten aus der Vergangenheit hat er konzeptionell an der Zusammenarbeit gearbeitet und lobt die Offenheit des Partners Waspo 98.

Zum Schluss des Gesprächs sagt er rückblickend lakonisch: „Es wäre kein schöneres Leben gewesen, hätte ich länger vor dem Fernseher gesessen.“ Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Nur so viel: Danke Mike, mach‘s gut!