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Heimweh kann für Sportler ein „Energieräuber“ sein

„Ich glaube, dass viele Spieler auf einen Wechsel verzichten, um näher an der Heimat zu spielen“, erklärte Handball-Nationalspieler Erik Schmidt und spricht damit ein nicht unbedeutendes Problem an. Heimweh im Leistungssport ist jedoch selten ein Thema, gilt es doch vielerorts als peinlich. Gernot Emberger, sportpsychologischer Betreuer des Handball-Bundesligisten MT Melsungen und Autor des Buches „Umgang mit Stress: Wege zu mehr Energie, höherer Leistung und besserer Gesundheit“, sprach mit der Journalistin Julia Nikoleit über die Belastung, die Heimweh sein kann – und hat auch Rat für junge Spieler, die das Heimweh fürchten …

 

Dass man Heimweh (bzw. die Sehnsucht nach zu Hause) auch als Erwachsener haben kann, ist ja kein Geheimnis. Ganz doof gefragt: Inwiefern kann Heimweh die Leistung belasten?

Wenn wir in Situationen stecken, die nicht so sind wir gerne hätten und in denen wir wenig bis keine Kontroll- bzw. Veränderungsmöglichkeiten für uns sehen – was bei Heimweh oftmals der Fall ist – wirkt sich dies negativ auf unsere Stimmungslage aus. Eine solche Stimmungslage ist ein Energieräuber und hat auf unsere körperlichen wie geistigen Leistungsmöglichkeiten ähnlichen Effekt, wie eine angezogene Handbremse auf ein fahrendes Auto. Insofern ist die Antwort: Ja, Heimweh kann die Leistung auf jeden Fall negativ beeinflussen.

 

Welche Unterschiede gibt es dabei zwischen jungen Nachwuchstalenten und erfahrenen Spielern? Gibt es überhaupt einen?

Auch hier ein klares Ja! Kinder und Jugendliche befinden sich in der Hochzeit nicht nur ihrer körperlichen, sondern vor allem ihrer emotionalen und kognitiven Entwicklung. Damit einher geht, dass sich neue und einschneidende Erlebnisse – was es das Verlassen der häuslichen Umgebung im Jugendalter und ein damit verbundenes Heimweh eindeutig ist – nicht nur deutlicher, sondern auch nachhaltiger auf das Befinden von Heranwachsenden auswirken. Dies muss allerdings nicht zwangsläufig negative Folgen haben. Vielmehr stellt es erstmal nur eine herausfordernde Entwicklungsaufgabe dar. Wird diese von allen Beteiligten gut begleitet und von der betroffenen Person selbst gut bewältigt, trägt dies enorm zur Reifung einer gesunden, starken und selbstständigen Persönlichkeit bei.

 

Wenn ein Spieler mit dem Problem Heimweh zu dir kommen würde, was würden Sie ihm – ganz grob – raten, wie er am besten damit umgehen kann?

Dazu eine grundlegende Anmerkung: Kern meiner Arbeit ist es, keine pauschalen Ratschläge zu geben oder allgemeingültige Rezepte zu formulieren. Vielmehr geht es darum, die jeweilige Person dabei zu unterstützen, ihre Situation zu reflektieren und selbst auf für sie passende Lösungen zu kommen. Insofern bin ich kein Lehrer oder Ratschläger (wer will schon mit einem Schläger zu tun haben…?), sondern eher eine Art Geburtshelfer.

Um die Frage aber dennoch einigermaßen konkret zu Beantworten: Im ersten Schritt versuche ich, die jeweilige Person mit ihren Erlebniswelten und Zugangsebenen kennenzulernen. Ist das geschehen, dann habe ich ein Gefühl dafür, auf welchen Ebenen ich mit ihr arbeiten kann. Ganz grob gesagt können dies entweder mehr bewusst-kognitive oder aber mehr die intuitiv-emotionale Ebenen sein (wobei sich beide Ebenen – vorausgesetzt der Beratungs- oder Coachingprozess läuft gut – früher oder später dann von ganz alleine vereinen).

Eine Arbeitsmöglichkeit auf der bewusst-kognitiven Ebene wäre die ganz sachliche Gegenüberstellung von Gründen, die auf der einen Seite für das pure Aushalten und auf der anderen Seite für das Nachgeben des Heimwehgefühls gehen. Alleine eine solche Strukturierung hilft vielen, diffuse Gefühle und Gedanken, die etwa mit einem Heimweh einhergehen, endlich mal zu ordnen, zu gewichten und für sie stimmige Entscheidungen zu treffen.

Eine Möglichkeit auf intuitiv-emotionaler Ebene wäre eine Beschäftigung mit den positiven und negativen Emotionen, die mit dem Verbleib an dem Fremden Ort einhergehen, mittels einer Stärkenscala. Anhand dieser Scala kann man dann erarbeiten, was einerseits notwendig wäre, damit sich die Stärke der positiven Emotionen erhöht und andererseits, um die Stärke der negativen Gefühle abzumildern.

 

Welche Tipps hätten Sie als Fachmann für einen jungen Spieler, der gerade auf dem Sprung ist, für den Handball sein zu Hause zu verlassen, sich aber ob der Entfernung nicht sicher ist?

Sich wirklich darüber klar werden und nachfühlen, welche Bedeutung eine Karriere im Handball für ihn hat. Ist geklärt, dass die Bedeutsamkeit und der innere Antrieb wirklich groß genug sind, um den Schritt gehen zu wollen, sollte er sich darauf einstellen, dass sich gerade in der ersten Zeit Heimweh einstellen kann und wird – und dass dies ein zwar mitunter schmerzhafter, letztendlich aber auch ein ganz normaler Prozess ist. Alleine diese Akzeptanz kann viel dazu beitragen, die negativen Gefühle besser aushalten zu können. Zudem hilft die berechtigte Hoffnung, dass sein Heimweh – ist er nach wie vor von der Richtigkeit dieses Schrittes überzeugt – umso schwächer wird, je länger er in der Ferne durchhält.

Prima zudem, wenn er sich Notfallstrategien zurechtlegt, auf er zurückgreifen kann, wenn das Heimwehgefühl droht, übermächtig zu werden. Eine Möglichkeit wäre etwa eine Heimwehbox. In diese legt er Bilder von seiner Familie, seinen Freunde oder auch kleine Andenken an seine Heimatwohnung und die Umgebung. Kommt der Heimwehschub, dann nimmt er sich eine kurze aber gezielte Auszeit von etwa einer Viertelstunde, öffnet die Box und schaut sich all die Dinge, die sich darin befinden, bewusst an. Damit lässt er das Gefühl bewusst zu, und es kann sich sehr gezielt entladen. Absolut OK übrigens, wenn dabei auch reichlich Tränen bei ihm fließen. Nur so kann sich die einschnürende Wirkung des Heimwehs in ihm immer wieder zumindest ein stückweit lösen und etwa seiner Leistungsentfaltung im Sport nicht mehr so massiv im Wege stehen.

Mit freundlichem Dank an Julia Nikoleit (www.handball-world.com)