Nationalmannschaft

Was gibt es Neues?

Die erste Wasserball-Hauptstadt der Welt

Zahlreiche verfallene (und mitunter auch wieder renovierte) Industriebauten sowie Gebäude mit roten Backsteinziegeln lassen es immer noch erahnen: Das nordenglische Manchester gilt als „first industrial city“ und hat sich als Ausgangspunkt einer dramatischen Entwicklung für weite Bereiche des Lebens einen Platz in der Geschichte der modernen Welt gesichert. Kaum bekannt dürfte den Teilnehmern des seit Freitag laufenden Vier-Nationen-Turniers der Frauen und anderen Fans der Sportart allerdings sein, dass Manchester einstmals auch die erste Wasserball-Hauptstadt der Welt war, bevor die Donaumetropole Budapest den Thron erklomm und andere Städte wie Belgrad, Barcelona oder in den 1980er Jahren auch Berlin für Schlagzeilen sorgten.

Die Besucher des Vier-Nationen-Turniers können die einstige Wasserball-Größe Großbritanniens an einer Stelle immer noch erahnen: Im Eingangsbereich des neuen Manchester Aquatics Centre befindet sich hinter dem Glas einer Vitrine der imposante Schild, der früher den englischen Meistern im Wasserball verliehen worden ist. Die imposante Trophäe ist vor gut einem Jahrzehnt bei Aufräumarbeiten unvermittelt wieder aufgetaucht und konnte mit dem neuen Bad der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Großer Vorzug neben einer vorhandenen Affinität der Briten zu Ball- und Mannschaftssportarten in einer Zeit, in der die Deutschen vornehmlich dem Turnen frönten, war ein ausgeprägter Spielbetrieb: Viele Mannschaften und zahlreiche, wenn auch zumeist nur kleine Hallenbäder sorgten für einen ausgeprägten Spielbetrieb, wobei vor allem die Manchester and District League Maßstäbe setzte und auch britischen Teams im internationalen Vergleich riesige Vorteile verschaffte.
 
Es war daher wenig überraschend, dass die Vereinsmannschaft des Osborne Swimming Club aus Manchester im Jahre 1900 beim olympischen Debüt des Wasserballs in Paris (Frankreich) als einziger Vertreter des Mutterlands der Sportart gegen die Konkurrenz vom Kontinent die Goldmedaille holen konnte. Nach den Osborne-Erfolgen wurde bis 1924 dann der Hyde Seal SC aus dem nur wenige Kilometer entfernten Hyde mit dem dreimaligen Olympiasieger George Wilkinson (1879 – 1946) als dem vielleicht ersten Star dieser Sportart zehnmal englischer Meister. Unterbrochen wurde die Serie unter anderen durch den ebenfalls aus der Region stammenden Wigan SC. Bis 1920 gab es bei vier Olympiateilnamen viermal Gold für Großbritannien, dann begann jedoch die britische Vorherrschaft auch in dieser Sportart zu bröckeln. Bereits in den 1920er Jahren wurde Ungarns Metropole Budapest die neue Hauptstadt des Weltwasserballs, auch wenn die Olympiatitel der Jahre 1924 und 1928 zunächst noch nach Frankreich und Deutschland gingen.
 
Ökonomischer Niedergang und die bis heute anhaltende Deindustrialisierung Großbritanniens haben jedoch nicht nur die Stadt Manchester und die gesamte Region, sondern auch den Wasserballsport auf den britischen Inseln insgesamt schwer in Mitleidenschaft gezogen, wobei der Abstieg der einstigen Wirtschaftsmetropole bereits in den 1930er-Jahren unübersehbar war. Mit der Krise der Stadt verschwanden hier wie auch in anderen Orten die zahlreichen kleineren Bäder, während moderne Sportstätten hier und in anderen Städten Großbritanniens vielfach eine Seltenheit geblieben sind. Manchester wurde mangels wasserballgerechter Bäder selbst im nationalen Vergleich zu einer regelrechten Provinz: Die bis Ende der 1990er-Jahre vornehmlich als Spielstätte genutzten Miles Platting Pools liegen in einem selbst für englische Verhältnisse sozial wenig einladenden Stadtteil und haben ein Sportbecken mit grade einmal mit fünf Wettkampfbahnen. Symptomatisch für die bis heute schwierigen Verhältnisse im britischen Wasserball war das frühere Unibad mit seinem 25-yards-Becken (= 22,86 Meter), das lediglich über vier Bahnen verfügte, einen hohen Beckenrand hatte und auf der einen Seite flach war. Gespielt wurde hier bis zum Ende der Anlage vor gut einem Jahrzehnt sogar noch mit klobigen Holztoren.
   
 
 
Wiedergeburt mit neuem Bad
 
Zwei Ereignisse bescherten der Stadt mit der Jahrtausendwende einen Umschwung: Zum einen wurde vor Ort für die Commonwealth-Spiele 2002 eine Schwimmsporthalle benötigt, die internationalen Maßstäben genügte, und die Veranstaltung hatte für die Neugestaltung der bis in die 1980er-Jahre heruntergekommenen Stadt einen ähnlichen Effekt wie etwa die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Eine modernisierte Infrastruktur, wiederbelebte Industriebrachen und zahlreiche neue Bauten prägen seitdem die Innenstadt. Die Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2012 nach London bescherte darüber hinaus dem Britischen Schwimmverband öffentliche Unterstützung und einen Geldregen für die Sportart, der anderweitig kaum zu erreichen gewesen wäre. Für die Frauennationalmannschaft ist in Anlehnung an die Programme der Kanadierinnen in Montreal ein zentralisiertes Training hier in Manchester ins Leben gerufen worden, das erste Früchte trägt. Vergangenes Jahr gab es den ersten Sieg eines britischen Teams gegen Deutschland; in diesem Sommer gelang sogar ein Erfolg in der Weltliga gegen den späteren Weltmeister Griechenland.  
 
Ein bleibendes Erbe der Commonwealth-Spiele ist die Schwimmsportarena, die die Stadt damit auch wieder auf die Landkarte des europäischen Schwimmsports zurückgespült hat. Das Manchester Aquatics Centre an der Oxford Road ist nicht nur ein Schmuckstück, sondern liegt südlich des Stadtzentrums an einer der wichtigsten Straßen der Stadt auf einer ehemaligen Brachfläche zwischen der Innenstadt und dem Universitätsgelände zugleich in bester Lage: Der Weg in die Stadt ist kurz, Studentenwohnheime sind nahe, und die Sportler können direkt aus dem Becken in die Hörsäle der Universität gehen. Besonderer Kult in Manchester: Wer die lange Oxford Road weiter entlang geht und die Universitätsgebäude hinter sich gelassen hat, landet auf der sogenannten „Curry Mile“, wo mehrere Dutzend indische Restaurants (die in der Regel von Pakistanis betrieben werden) zum Teil Tür an Tür liegen.
   
Die neue Anlage ist für Hochleistungs- wie auch Breitensport konzipiert. Neben dem zumeist von der Öffentlichkeit genutzten 50-Meter-Sportbecken mit Tribünenplätzen gibt es ein weiteres unterirdisches 50-Meter-Becken mit vier Bahnen für den Schwimmsport. Für Wasserball wird zumeist das 25 x 16 Meter große Sprungbecken genutzt, was einmal den Nutzen vernünftiger Planung unterstreicht: „Das ist für uns nur der ‚waterpolo pool‘“, sagt eine grinsende Lokalmatadorin Julie Allsopp, die bei den Olympischen Spielen in London als „competition manager“ der Wasserballturniere fungieren wird. Möglicherweise beispielgebend für vielleicht auch das ein oder andere Schwimmbad in Deutschland: Die Ende 2000 von Königin Elizabeth II. eröffnete Anlage ist von Beginn an nicht als reine Sportarena konzipiert worden: So kann der Badbesucher auch das integrierte Fitnessstudio nutzen, so dass die Anlage auch privatwirtschaftlich unterhalten werden kann. Die Tribünenplätze sind nach den Commonwealth-Spielen auf der Fensterseite komplett abgebaut worden, wodurch die Anlage weiterhin für Schwimmsportveranstaltungen genutzt werden kann, aber nicht überdimensioniert ist.
 
Das zersplitterte Wasserball-Geschehen in der Stadt konzentriert sich parallel mit der neuen Sportstätte an der Oxford Road als zentralem Anlaufpunkt jetzt vornehmlich in dem 1999 gegründeten City of Manchester Water Polo Club. Von einem Profistatus ist der Verein weit entfernt, bietet aber tägliche Trainingsabende und einen umfangreichen Spielbetrieb. Das „mini-polo“-Programm des Klubs zur Gewinnung jüngerer Kinder wird sogar in Zusammenarbeit mit dem Manchester City Council angeboten. Gleich mehrere Teams sind in den einzelnen Spielklassen der landesweiten British Water Polo League vertreten, wobei die Frauen des Klubs nach diversen Europapokalauftritten 2011 erstmals britischer Meister werden konnten. Ob das umfangreiche und bisher erfolgreiche Programm der Frauen-Nationalmannschaft längerfristig bestand haben wird, steht in den Sternen, doch mit der Anlage und dem neuen Klub ist die erste Hauptstadt der Wasserballgeschichte zumindest wieder auf die sportliche Landkarte zurückgekehrt.